Aus der Sicht des autonomen Nervensystems ist Resilienz die Fähigkeit zur Regulation zurückzufinden, nachdem das Nervensystem in Schutzzustände wie Kampf/Flucht, Immobilisation/Shutdown oder Freeze gegangen ist.
Autonome Zustandsveränderungen als Reaktion auf die Herausforderungen des täglichen Lebens sind eine normale Erfahrung. Das Ziel ist nicht, sich immer in einem Zustand von Regulierung zu befinden, sondern in der Lage zu sein, die Herausforderungen des Alltags flexibel zu bewältigen und genug Widerstandskraft aufzubauen, um größere Veränderungen oder Herausforderungen zu überstehen.
Wir stärken Resilienz, indem wir uns durch Zyklen der Regulierung, Dysregulierung und Wiederherstellung der Regulierung bewegen.
Resilienz & das autonome Nervensystem – drei primäre Zustände und Systeme
Das autonome Nervensystem kann man sich wie ein Ampelsystem vorstellen und in jedem Moment des Tages ist ein System der aktive Schaltkreis – oder zwei Systeme im Fall der autonomen Mischzustände Spiel (grünes & ein wenig gelbes System), Stille (grünes & ein wenig rotes System) und Freeze (gelbes & rotes System).
Das grüne System: Sicherheit
Das grüne System (ventraler Vagus oder Social Engagement System) ist die neurophysiologische Basis für geistiges, emotionales & körperliches Wohlbefinden. Hier finden all die angenehmen Dinge statt, wenn dies das aktive System ist. Wir sind entspannt, unsere Körpersysteme haben genug freie Kapazitäten für Gesundheit & Regeneration, unser Gehirn kann kreativ sein, Neues lernen und Dinge hinterfragen. Wir sind zu gesunder sozialer Interaktion in der Lage. Resilienz stärken bedeutet viel Zeit im grünen System zu verbringen.
Das gelbe System: Gefahr
Das gelbe System ist unser System für Aktivierung bzw. Kampf oder Flucht (Sympathikus). Wenn dies das aktive System ist, lassen Stresshormone alle für Kampf oder Flucht wichtigen Körpersysteme überdurchschnittlich schnell und stark agieren (unser Atem ist schnell & flach, Blutdruck und Herzschlag steigen, wir haben viel Energie, sind schmerzunempfindlicher). Wir sind im Überlebensmodus und unser System hat kaum freie Kapazitäten für gesunde Verdauung, Immunabwehr, Regeneration u.v.m. (Wunden heilen langsamer). Kritisches Denken und gesunde soziale Interaktion sind in diesem Zustand nicht vorgesehen und deswegen eingeschränkt.
Das rote System: Lebensgefahr
Das rote System (dorsaler Vagus) ist ein Überlebensmodus durch Unverbundenheit, Immobilisation, Abschalten. Alle Körpersysteme sind im Energiesparmodus. Blutdruck und Herzschlag sind niedrig, unser Atem flach. Dieser Zustand kann mit Konzentrationsschwierigkeiten oder Gehirnnebel einhergehen, (emotionaler) Taubheit, Hoffnungslosigkeit u.v.m. Wir sind im Überlebensmodus und unser System hat kaum freie Kapazitäten für gesunde Verdauung, Immunabwehr, Regeneration u.v.m. Soziale Interaktion ist nicht vorgesehen.
Das gelbe und rote System sind nicht böse. Die Hauptaufgabe von unserem Nervensystem besteht darin, zu jedem Zeitpunkt mit absoluter Priorität unser blankes Überleben zu sichern und das macht es über Aktivierung des gelben und roten Systems. Diese Systeme und Schutzzustände haben sich entwickelt, um kurzfristig effizient mit flüchtigen Bedrohungen umgehen zu können – nicht um in ihnen zu leben!
Resilienz stärken ist die Fähigkeit zur Regulation (grünes System) zurückzufinden, nachdem das Nervensystem in Schutzzustände gegangen ist.
Resilienz stärken: das Toleranzfenster vergrößern
Wenn Menschen über Resilienz reden, meinen sie oft die Fähigkeit mit Stressoren umgehen zu können im Sinne psychischer Resilienz oder Widerstandsfähigkeit. So als würde der gesamte Prozess in unserem Kopf stattfinden. Resilienz aus Sicht des Nervensystems bedeutet zu Regulation und Homöostase (Gesundheit, Wachstum, Regeneration) zurückfinden zu können und das betrifft unsere Körpersysteme ebenso wie unser Gehirn und unsere Emotionen.
Resilienz ist angeboren und nicht fix. Schon vor der Geburt wird unsere Resilienz-Kapazität beeinflusst, denn der mütterliche Stresslevel hat eine Auswirkung auf unser Nervensystem. Menschen sind unterschiedlich resilient, widerstandsfähig, belastbar – und wie resilient man ist, kann sich im Laufe des Lebens ändern. Schwierige bzw. traumatische Lebenserfahrungen können uns weniger resilient machen und unser Toleranzfenster verkleinern oder uns den Zugang dazu versperren.
Das Modell des Toleranzfensters geht davon aus, dass es zwischen den Extremen der sympathischen Übererregung und der dorsal-vagalen Untererregung einen Toleranzbereich gibt, in dem Erfahrungen, Erregungszustände und Emotionen als erträglich erlebt werden. Über Nervensystem Regulierung kann das Toleranzfenster (wieder) größer werden, so dass wir den Alltag und die normalen Herausforderungen des Lebens besser bewältigen können. Wir werden resilienter. Wenn man mehr Resilienz aufbaut, kann man auf Herausforderungen flexibler reagieren, ohne tief in einen Schutzzustand zu gehen oder lange Zeit dort zu verweilen.
Resilienz stärken: unser Social Engagement System
Unser ventraler Vagus (Social Engagement System) ist wie ein Muskel, der trainiert werden möchte über die Nervensystem-Zustände Spiel, Stille & den rein ventral-vagalen Zustand. Ohne sichere soziale Interaktionen, die uns resilienter machen, ist unser Nervensystem eher geneigt in Schutzzustände, das gelbe oder rote System, zu gehen. Über Resilienz Routinen, die wir in unseren Alltag einbauen, können wir unser Toleranzfenster vergrößern und unsere Resilienz aufbauen.
Wir brauchen sichere Menschen, Orte, Aktivitäten: Sichere Co-Regulation mit Menschen (gibt es im Sommer 2024 in meinen Online Praxisabenden: Co-Reguliert), Natur, Tieren
Regulierende Atemtechniken (je nach Nervensystem-Zustand / um uns aus dem gelben System rauszuregulieren brauchen wir andere Techniken als im roten System)
Wohltuende = regulierende Bewegung: Spiel, Sport, Tanz
Kreativität
Reflektion (z.B. mithilfe des 6-Minuten Tagebuchs)
Nächstes, noch buchbares Seminar: Das autonome Nervensystem – Unser Fühlen, Denken, Handeln verstehen und regulieren – Samstag, 05.04.2025 VHS Mönchengladbach https://vhs-mg.de/programm/kw/bereich/kursdetails/kurs/251F1113/kursname/Das%20autonome%20Nervensystem%20-%20Unser%20Fuehlen%20Denken%20Handeln%20verstehen%20und/